Ein spannender Theaterabend zum Nachdenken und  Diskutieren

Kroetz' Stück aus dem Jahr 1993 - aktueller denn je

man auf der ganzen Welt zu Hause: Von Manchester bis Melbourne, von Kapstadt bis Kalkutta und von Wellington bis Washington D.C. ist es Mutter- oder Amtssprache in mehr als 75 Staaten der Welt und wird von über 1,5 Milliarden Menschen gesprochen, es ist Kultur„Ich bin das Volk“ schrieb Franz Xaver Kroetz – bis heute einer der meist gespielten Dramatiker in Deutschland – im Jahr 1993 ein Stück, das die Augen für Rechtsextremismus in der damaligen Zeit öffnen sollte, das aber angesichts der Flüchtlingskrise und des erneut aufgeflammten Rechtspopulismus und -radikalismus aktueller denn je ist. Kroetz` ursprüngliche Collage von Einzelszenen wurde von Regisseur Max Claessen und Dramaturgin Silvia Stolz vom Landestheater Schwaben in ein zusammenhängendes Stück verwandelt, in dem eine verarmte Familie, wohnhaft in einem Wohnwagen, die unterschiedlichen Facetten eines rechten Weltbilds mit seinen Vorurteilen, Gehässigkeiten, dumpfen Parolen und kruden Ideen verkörpert. Hier ein kurzer Rückblick auf einen spannenden Theaterabend, an dem alle 23 Schüler der Klasse 9a teilnahmen und der auch in den folgenden Unterrichtsstunden noch ausführlich diskutiert wurde.

Alle 23 Schüler der Klasse 9a nutzen das - freiwillige - Angebot und erlebten einen spannenden Theaterabend im MODEON, nach dem sie noch lange mit ihrem Deutschlehrer Thorsten Krebs über die Inszenierung von F. X. Kroetz' Stück ICH BIN DAS VOLK diskutierten.

Spannende, aber in sich zum Teil widersprüchliche Charaktere

In dem Stück finden sich fünf Charaktere: Ein seltsames Wesen – eine Art Krampus oder Waldwesen - sowie Mutter, Vater, Tochter und Sohn. Die vier Familienmitglieder äußern sich alle politisch rechts, dabei variiert aber, wie stark rechts sie sich äußern. Ab und an findet sich auch eine Haltung, die Rechtsextremismus kritisch sieht, was natürlich der Konzeption von Kroetz' Einzelszenencollage geschuldet ist, aber als zusammenhängende Handlung nicht immer funktioniert.
Am stärksten rechtsradikal verhält sich die Tochter (gespielt von Elisabeth Hütter). Den Zuschauern wird deutlich gemacht, dass sie zum Beispiel Hakenkreuze auf Brücken schmiert oder Gewalt gegen Ausländer anwendet. Die Mutter (Anke Fonferek) stellt sich generell vor ihre Tochter und verharmlost, was geschieht, während Vater (Jens Schnarre) und Bruder (Sandro Sutalo) mal entsetzt, mal verständnisvoll reagieren. Dass diese Meinungen ständig ohne "Vorwarnung" wechseln, macht es dem Zuschauer zum Teil schwer, die Handlung zu verfolgen. Dazu kommt, dass die Familie nicht wirklich authentisch wirkt: Elisabeth Hütter gibt zwar eine überzeugende, aggressiv-dummdreiste Neo-Faschistin, aber sie hat zum Beispiel einen starken österreichischen Akzent, wobei man sich fragt, woher dieser kommen soll, da Anke Fonferek als Mutter überhaupt keinen Dialekt spricht und Jens Schnarre nur sehr bemüht bayerisch spricht.

Eine heruntergekommene Familie als Handlungsrahmen

Eröffnet wird das Stück durch ein behaartes, großes Wesen, das an einen Krampus erinnert und durch den Wald schleicht. Dieses Wesen gibt den Zuschauer schon zu Beginn das Rätsel danach auf, was es mit dieser Kreatur auf sich hat. Im Anschluss erzählt das Stück die Geschichte der Familie mit den wechselnden Charakteren, die ja schon beleuchtet wurden. Als roter Faden ziehen sich die zahlreichen juristischen Anklageschreiben an die rechtsextreme Tochter durch das Stück, die zahlreiche Streits in der Familie auslösen. Eben diese führen im Finale dazu, dass sich die Familienmitglieder gegenseitig provozieren und schließlich erschießen. Aus Mangel an weiterer Munition bleibt schließlich die Mutter übrig, da sie sich nicht mehr erschießen kann. Hier tritt das Wesen vom Beginn erneut auf, und nimmt die verbliebene Mutter durch eine Umarmung mit in den Tod.

Gelungenes Bühnenbild

Das Bühnenbild von Ilka Meier ist relativ aufwändig gestaltet. Grob lässt es sich in zwei Hälften unterteilen: Auf der rechten Seite der Bühne findet sich der kleine Wohnwagen – das Zuhause der arg heruntergekommenen Familie –, auf der linken Seite wird durch drehbare, niedrige Plastikbäume ein Wald dargestellt. Der Hintergrund ist sehr dunkel gestaltet, was die düstere, triste Stimmung des Stücks widerspiegelt.
Schaut man sich den Wohnwagen näher an, so fällt auf, dass er mit großer Mühe gestaltet worden sein muss. Öffnet jemand die Tür, kann man auch im Inneren eine passende Einrichtung erkennen, obwohl diese bis auf einige kurze Momente in der Schlussszene verborgen bleibt.
Besonders gut gelungen sind meiner Meinung nach die zum Stück passenden Details, die einem eine Weile gar nicht auffallen: Die Tasse, aus der die Tochter trinkt, „ziert“ ein Hakenkreuz, außerdem findet sich ein solches auf den Federballschlägern, der Tür und anderen Gegenständen. Alles in allem ist das Bühnenbild sehr gut gelungen.

Theaterínszenierungen als Denkanstoß

Insgesamt handelt es sich bei „Ich bin das Volk“ um ein Stück, das wegen der großen Aktualität stark zum Nachdenken anregt. Kroetz' 24 Einzelszenen wurden auf 14 Szenen reduziert und von einer Unterschicht-Familie mehr oder weniger schlüssig zusammengehalten, die bei ihrem Alltag beobachtet werden. Die Idee, den Szenen einen gemeinsamen Handlungsrahmen zu geben, ist sicher interessant, ob die Inszenierung allerdings als gelungen gelten kann, ist Ansichtssache.

Für uns war der Theaterabend aber auf jeden Fall eine tolle Sache, denn egal ob eine Inszenierung gut ist oder schlecht – wenn man gesehen hat, wie ein Stück auf der Bühne umgesetzt wird, dann kann man sich die Handlung viel besser vorstellen. Und anschließend umso besser darüber diskutieren.

Julia Huber, Tabea Karg, Rufus Roth (9a)