Sie diskutierten engagiert und kontrovers über die Zukunft Europas (v.l.n.r.): Christoph Gänsheimer (LINKE), Regina Renner (SPD), Moderator Julius Kessler, David Stiegler (CSU), Michael Käser (FDP) und Felix Thiessen (AfD).

Text und Fotos: Thorsten Krebs

Podiumsdiskussion "Zur Sache, Europa"

Im Rahmen des Themenjahrs zur Stärkung der politischen Bildung am Gymnasium Marktoberdorf hatte die Fachschaft Sozialkunde fünf junge Politiker aus dem gesamten Parteienspektrum eingeladen, die erfreulich kontrovers und meist sachlich über die drängendsten Fragen der europäischen Integration debattierten. In einer über zweistündigen Diskussion demonstrierten sie den fast 200 Schülerinnen und Schülern der Q11 und Q12, wie spannend und lebensnah Politik sein kann.

Eine bunt gemischte Podiumsrunde

Die von Julius Kessler gekonnt moderierte Diskussionsrunde war bunt gemischt und – aus der Perspektive des Publikums – gemäß ihrer politischen Ausrichtung auf der Bühne platziert worden: ganz links der Vertreter der Links-Partei, der ehemalige Landtagskandidat Christoph Gänsheimer, neben ihm Regina Renner (SPD), Kreisrätin im Ostallgäu, rechts von der Mitte saß David Stiegler (CSU), daneben Michael Käser (FDP) und ganz rechts außen der Vertreter der AfD, Felix Thiessen.

Der „Brexit“ und die Folgen

Nach einer Kurzvorstellung der Diskutanten per Videoclip ging es in der ersten, ca. halbstündigen Diskussionsrunde um ein brisantes und hochaktuelles Thema: den „Brexit“ und dessen mögliche Folgen für Europa und Deutschland. Während Felix Thiessen von der AfD den Antrag als konsequente Antwort der Briten auf die seiner Meinung nach „antidemokratische EU“ mehr als nachvollziehen konnte, waren sich die übrigen Diskussionsteilnehmer einig, dass der Brexit letztlich nur Nachteile für alle Beteiligten mit sich bringt. Dennoch sei das demokratisch zustande gekommene Votum der Briten selbstverständlich zu respektieren, auch wenn die „Brexiteers“, wie Regina Renner anmerkte, ihrer Meinung nach finanziell weitaus besser gestellt waren und eine ganz andere „Kampagnenfähigkeit“ aufwiesen als die Befürworter eines Verbleibs Großbritanniens in der EU.

Was hingegen nicht akzeptiert werden könne, sei ein „Rosinenpicken“ der Engländer, wie David Stiegler von der CSU betonte. Insgesamt waren sich die Vertreter von Linkspartei, SPD, FDP und CSU einig, dass die europäische Integration nach dem Zweiten Weltkrieg 70 Jahre lang ein Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa gewesen sei. Entwicklungen wie der Brexit, aber auch generell rechtspopulistische und anti-europäische Bewegungen mit ihren Renationalisierungsbestrebungen – man denke an Ungarn und Polen – seien gefährlich für die Zukunft Europas.

Visionen und Reformvorschläge für Europa

Vom Thema Brexit ausgehend entspann sich eine muntere, teilweise auch sehr kontroverse Diskussion über die unterschiedlichsten Themen, die von der Aufwertung des EU-Parlaments durch ein Gesetzesinitiativrecht über die Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“ bis hin zur Forderung nach einer Vereinheitlichung der Sozialstandards innerhalb der EU reichten. Damit, so Christoph Gänsheimer, könnten endlich gleichwertige Lebensverhältnisse sowie Solidarität und soziale Gerechtigkeit in der EU geschaffen werden. Von hier aus entwickelte sich die Diskussion dann in Richtung Asylpolitik, Migration und Flüchtlingskrise – hochaktuelle Themen, die den zweiten Teil der Debatte bestimmten. Hier standen sich vor allem die Positionen von Christoph Gänsheimer und Felix Thiessen gegenüber: Während der Vertreter der Linkspartei radikal die Existenz von Grenzen und Nationalstaaten als unzeitgemäße „Konstrukte“ ablehnte, bestand Thiessen auf dem Territorialprinzip als Wesenskern eines Nationalstaates und betonte die Notwendigkeit und das Recht eines Staates, seine Grenzen zu kontrollieren und zu schützen. In diesem Zusammenhang stellte David Stiegler unmissverständlich klar, dass ein solcher Grenzschutz aber nicht mit dem Einsatz von Schusswaffen gegenüber flüchtenden Frauen und Kindern geschehen dürfe, wie das AfD-Politikerinnen wie Frauke Petry und Beatrix von Storch gefordert hatten. Regina Renner und Michael Käser wiesen darauf hin, dass eine Lösung der Flüchtlingsproblematik vor allem darin bestehen müsse, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Migranten zu bekämpfen.

Im letzten Teil der Diskussion konnten dann die Schüler Fragen stellen und die Positionen der Politiker kommentieren und bewerten. Hier meldeten sich zahlreiche Schülerinnen und Schülern mit klugen und reflektierten Beiträgen zu Wort, die von der Frage nach einer gesamteuropäischen Armee bis zur Problematik der ungleichen Verteilung der Flüchtlinge in Europa aufgrund des als unfair erachteten Dublin-Abkommens reichten.

Demokratieerziehung zum Mitfiebern, Mitdiskutieren, Mitmachen

Am Ende konnten die Schülerinnen und Schüler per Abstimmung den überzeugendsten Redner wählen. Hier gewann der FDP-Politiker Michael Käser mit deutlichem Abstand, der mit sehr sachlicher, gleichwohl anschaulicher Rhetorik zu überzeugen wusste. Wie spannend und anregend diese zwei kompakten Stunden politischer Bildung waren, zeigte sich auch darin, dass viele Schülerinnen und Schüler auch nach Ende der Veranstaltung das Gespräch mit den Politikern suchten, um die vielen Fragen rund um Europa weiter zu vertiefen.

Daher an dieser Stelle ganz herzlichen an alle, die diese besondere Form des Politikunterrichts ermöglicht haben: an die Fachlehrer der Q11 und Q12, die ihre Stunden zur Verfügung gestellt haben, an die Schülerinnen und Schüler für ihre lebhaften Diskussionsbeiträge, an die beteiligten Politiker für ihr Engagement und an Moderator und Organisator Julius Kessler von „Spotlight Politics“ für das gelungene Konzept dieser anschaulichen und motivierenden Veranstaltung, bei der eines wieder einmal deutlich wurde: Demokratie lebt vom Mitfiebern, Mitdiskutieren und Mitmachen.