Carl Orffs „Carmina Burana“ haben in Marktoberdorf eine kostbare Aufführungstradition, die Arthur Groß vor 40 Jahren begründete. Chorleiter und Dirigent Stefan Wolitz führt diese Tradition fort und bezauberte das Publikum im ausverkauften Marktoberdorfer Modeon jetzt mit seiner Interpretation. Gerade Orffs späte, auf zwei Klaviere und Schlagwerke reduzierte Fassung von 1956 findet er reizvoll. Rückt sie doch den Chor und den Text dieser authentischen nichthöfischen Vagantenlyrik des frühen Mittelalters, die jahrhundertelang im Kloster Benediktbeuern aufbewahrt wurde, unmittelbar ins Zentrum.
Mit dem Jugendchor Ostallgäu, dem Carl-Orff-Chor, vielen Ehemaligen sowie dem Unterstufenchor des Gymnasiums bot sich dem Chorleiter ein überwältigendes 200-köpfiges Instrument. Effektvoll konnte er mit der immensen Ausdrucksskala zwischen zartestem Piano und der dramatischen Wucht eines antiken griechischen Chores spielen. Streng getrennt nach Sängerinnen und Sängern berauschte der Riesenchor mit der rhythmischen Schärfe und Prägnanz seines deklamatorischen Sprechgesangs. Auch der vokalreiche Sprachfluss der mittelhochdeutschen und mittellateinischen gelehrten Verse mit ihren Reimen, Reihungen und Refrains gewann in der Wolitzschen Deutung eine unerhört aufregende Schönheit.
Der bayerische Komponist Orff hatte aus der mittelalterlichen Sammlung von 254 Liedtexten 24 Gesänge vertont, denen Stefan Wolitz ein reiches Stimmungskolorit entlockte. Neben der derben Lebensprallheit der alten Spott- und Trinklieder zeigte er die feine lyrische Empfindsamkeit der poetischen Frühlings- und Liebeslieder.
Der Jugendchor Ostallgäu betörte hier mit der Frische und Reinheit seiner jungen Sopranstimmen. Ein exzellentes Solistenteam rundete diese „Carmina“-Aufführung zum spektakulären profanen Oratorium. Bariton Linus Mödl gelang bei seinem Klagelied als gebratener Schwan der brillante Überstieg ins Falsett. Johannes Mooser berührte mit dem baritonalen Schmelz seiner voluminösen ausdrucksvollen Stimme. Marie-Sophie Pollak bezauberte bei den Liebesliedern und dem „Dulcissime“ aus dem „Cours d’Amour“ mit ihrem glockenreinen Koloratursopran. An den beiden die Bühne beherrschenden Flügeln gestalteten Katharina Röhrig und Manfred Eggensberger ebenso perkussiv wie filigran den harmonischen Klavierpart.
Gerade die Schlagwerke verleihen dem Orffschen Oeuvre heute seine überragende Modernität. An Pauken, Trommeln, Tamtam und Becken erzielte das Schlagwerkensemble Marktoberdorf mit Manuel Mayerle und Drumspezialist Max Kinker eine fulminante Schlagkraft.
Mit zwei Glockenspielen, Xylophon, Kastagnetten, Röhren- und Schlittenglocken verpasste es der Carmina Burana zugleich eine betörend hell schimmernde Klangfarbe.